Zunehmende Offenheit
Interview Raoul Mancke – 5. November 2021

Die Pilotphase von We Care ist abgeschlossen, seitdem sind auch weitere Unternehmen zertifiziert. Raoul Mancke vom Zertifizierer Kiwa erläutert im Gespräch, wie ein Audit vor Ort abläuft, worauf er besonders achtet und welche Veränderungen er in Unternehmen feststellt.

Herr Mancke, wie und womit steigen Sie beim We-Care-Audit ein?

Raoul Mancke: Vor dem eigentlichen Audit stehen wir ja bereits in einem engen Austausch mit dem Unternehmen. Über dessen Selbstbewertung bekommen wir nicht nur einen ersten Eindruck, sondern wir arbeiten uns in die uns zugesandten Dokumente ein und können so einen ersten Vollständigkeits- und Plausibilitäts-Check in den vier Handlungsfeldern von We Care machen. Das ist unsere Vorbewertung. Erst dann vereinbaren wir einen Vor-Ort-Termin. Zu dem eigentlichen Audit geht dann, je nach Größe des Unternehmens, ein oder auch mehrere Auditoren. Handelt es sich um ein Erstaudit, halten wir uns in der Regel drei Tage im Unternehmen auf. Das jährliche Überwachungsaudit erfolgt in einem reduzierten Umfang.

Das klingt aufwändig. Weshalb so lange?

Raoul Mancke: Wir wollen das Unternehmen möglichst umfassend verstehen und so eine solide Basis für die Prüfung erhalten. Deswegen bewegen wir uns sowohl auf der Ebene der strategischen Prozesse als auch im Kleinklein einzelner Dokumente. Das ist die formale Dimension. Mindestens genauso wichtig sind die Gespräche mit relevanten Abteilungen und deren Mitarbeitenden. Denn nur durch diese individuellen Gespräche können wir die Übereinstimmung von Kennzahlen, Vertragsvereinbarungen und anderen Maßstäben mit den Handlungen des Unternehmens feststellen. Anders ausgedrückt: Wir stellen recht schnell fest, ob Anspruch und Wirklichkeit korrelieren oder eben nicht.

Mit wem im Unternehmen sprechen Sie?

Raoul Mancke: Das Eröffnungsgespräch führen wir mit der Geschäftsführung. Hier geht es um die Ausrichtung des Unternehmens, die Wesentlichkeitsanalyse oder die Berücksichtigung der Stakeholder, also alles rund um das Handlungsfeld Unternehmensführung. Auch die Sortimentspolitik und Produktentwicklung sind relevant, weil wir hier das eigentliche Wirtschaften hinterfragen, und das ist wiederum mit den weiteren Handlungsfeldern direkt verbunden. Beim Lieferkettenmanagement sprechen wir üblicherweise mit dem Einkauf, im Bereich Umwelt mit dem oder der Umweltbeauftragten, und im Handlungsfeld Mitarbeiter ist naturgemäß die Personalabteilung unser Ansprechbereich. Vor allem hier führen wir Individual- und Gruppeninterviews durch, auch mit Mitarbeitenden aus der Produktion. Zum Abschlussgespräch treffen wir uns wieder mit der Geschäftsführung.

Welche Herausforderungen sehen Sie gerade bei der Auditierung des Lieferkettenmanagements?

Raoul Mancke: Ein bestehendes, funktionierendes System ist viel einfacher zu auditieren als ein Lieferkettenmanagement, das möglicherweise erst neu aufgebaut wurde. Wir versuchen deshalb auch die Unternehmen zu bestärken, bestehende Managementsysteme hinsichtlich weiterführender Nachhaltigkeitsanforderungen auszuweiten. Häufig stellen wir fest, dass Einkäufer oder Einkäuferinnen noch nicht so auf ökologische und soziale Themen sensibilisiert sind wie Nachhaltigkeitsbeauftragte. Das ist zwar nachvollziehbar, doch für eine nachhaltige Lieferkette ist ein durchgängiges Verständnis unabdingbar. Auch bei so komplexen Bereichen wie Vertragspartnerschaften oder Preisgestaltung können wir Rückmeldungen geben, nach welchen Indikatoren diese festgelegt werden. Eine Positivliste für anerkannte Standards wie Fair for Life – wir erarbeiten diese zurzeit – ist hilfreich, weil wir diese bei bestimmten Kriterien im Lieferkettenmanagement anerkennen.

Unternehmen, die bereits andere Zertifizierungen haben, tun sich also leichter mit We Care?

Raoul ManckeAllein die Kenntnis über die Implementierung von Managementsystemen ist hilfreich. Wer zum Beispiel ISO 14001 oder EMAS zertifiziert ist, hat einen Vorteil, weil diese Standards für das Handlungsfeld Umweltmanagement anerkannt sind. Das bedeutet dann für diese Unternehmen eine deutliche Verringerung von Zeit und Energie

Stichwort Risiko in der Lieferkette. Wie gehen Sie damit um?

Raoul Mancke: Wir gehen nach einem risikobasierten Ansatz vor, wir schauen uns also die Lieferanten mit dem potenziell höchsten Risiko an. Konkret bedeutet das, dass wir uns eher mit der Plantage in Indien als mit dem Demeter-Hof von nebenan auseinandersetzen. Nach diesem Prinzip gehen wir bei sozialen Themen wie z. B. Löhnen und auch bei ökologischen Fragen um. Wir schauen uns neben den sozialen Risiken auch die Umweltrisiken in der Lieferkette an, zum Beispiel CO2-Emissionen oder Landnutzungsänderungen. Es freut uns zu sehen, dass sich hier immer mehr Unternehmen im Sinne der Risikominimierung und damit im Sinne der Nachhaltigkeit engagieren. Bei manchen geht es dann gar nicht mehr um einen Zero Impact bei den Emissionen, sondern um einen Positive Impact. Die Ökobilanzierung wird zunehmend als Methode integriert, um Wirkungskategorien in der Lieferkette zu bilanzieren.

Welche für Sie bedeutendste Erfahrung haben Sie bei den bisherigen Audits gemacht?

Raoul Mancke: Spannend finde ich es, mit den verschiedenen Bereichen zu schauen, wie zunehmende Nachhaltigkeitsanforderungen umgesetzt werden können. Gerade im so wichtigen Bereich des Einkaufs sehe ich eine zunehmende Offenheit.

Ist dies der Anspruch von We Care, Verbesserungsprozesse zu mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen zu initiieren?

Raoul Mancke: Genau das ist es. Wir schauen neutral von außen auf die internen Prozesse, stellen in manchen Bereichen Abweichungen und Handlungsbedarf fest und bewerten das Unternehmen gemäß der We-Care-Anforderungen. Gibt es eine Nachprüfung, betrachten die Unternehmen dies als eine Chance für einen strukturierten Verbesserungsprozess.

Das Gespräch führte Volker Laengenfelder.

Raoul Mancke (33) ist Teamleiter für den Bereich Nachhaltigkeit bei Kiwa, einem global tätigen Zertifizierer.