Wir fühlen uns gut gewappnet
Welche Risiken für Menschenrechtsverletzungen gibt es in Ihren Lieferketten und wie haben Sie diese ermittelt?
Dr. Manon Haccius: Alnatura kauft relativ wenige Frischeprodukte selbst ein. Den überwiegenden Teil der Rohwaren beschaffen unsere etwa 160 Herstellerpartner aus verschiedensten Ländern, auch aus sogenannten Risikoländern, und verarbeiten diese für uns. Als wir vor etwa zehn Jahren anfingen, uns mit menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten auseinanderzusetzen, haben wir bestehende Sozialstandards geprüft und darauf aufbauend 2014 eine eigene, interne Policy mit zehn Punkten erarbeitet. Darin geht es vor allem darum, faire Arbeitsbedingungen und Löhne zu erreichen sowie ein möglichst diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Circa drei Jahre hat es gedauert, diese Standards mit unseren Herstellerpartnern umzusetzen. Das verlangte von ihnen viel kleinteilige Arbeit. Denn wir haben festgestellt, dass einige Lieferanten nicht sicher wussten, aus wie vielen Ländern ihre Rohwaren eigentlich stammten.
Mit welchen Maßnahmen versuchen Sie, die Risikowahrscheinlichkeit in der Zukunft zu verringern und wie gehen Sie vor, wenn bereits ein Schaden eingetreten ist?
Dr. Manon Haccius: Die Anforderungen unserer Policy haben viel zur Bewusstseinsbildung und Klarheit beigetragen; viele Herstellerpartner haben sich in der Folge auf zwei bis drei Lieferanten je Rohware konzentriert, die sie gut kennen und mit denen sie langfristig arbeiten. Dennoch kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass sich ein Partnerunternehmen mit der Beschaffung von sozialstandard-zertifizierten Rohwaren schwertut. Wenn wir trotz Gesprächen nicht zusammenkommen, stellt sich für uns die Frage, ob wir diese Quelle in der Lieferkette zwingend brauchen oder ob wir eine Alternative aufbauen können. In jedem Fall bedeutet die Umsetzung solcher Standards für alle Beteiligten einen Lernprozess.
Wie sieht dieser Lernprozess konkret aus? Nach welchen Kriterien gehen Sie vor?
Dr. Manon Haccius: Wenn wir mit einem Herstellerpartner neue Produkte entwickeln, für die Rohwaren aus neuen Quellen eingekauft werden sollen, sind wir sehr streng mit unseren Anforderungen. Wenn wir aufgrund einer erhöhten Nachfrage eines Produktes die Beschaffung über einen zuverlässigen Partner auf neue Quellen erweitern, kann diese Rohware direkt eingesetzt werden. Die Zertifizierung wird dann begleitend umgesetzt. Auch hier ist die Vertrauensbasis wichtig, gleichzeitig bestehen wir auf einer engmaschigen Berichterstattung. Und natürlich kann dann immer noch etwas Unerwartetes passieren, sodass wir schnell handeln müssen.
Zum Beispiel?
Dr. Manon Haccius: Bio-Haselnüsse etwa kommen oft aus der Türkei. Nun wissen wir, dass sich derzeit in den dortigen Anbaugebieten aufgrund der politischen Situation in den Nachbarländern viele Geflüchtete aufhalten. Wir wollen wissen, von wem die Haselnüsse geerntet werden. Dafür sind unsere Lieferanten die ersten Ansprechpartner. Sie bekommen von uns die eindeutige Botschaft, dass sie sich kümmern und ihren Partnerbetrieben vor Ort klarmachen müssen, dass auch dort unsere Anforderungen gelten.
Wie stellen Sie sicher, dass die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in Ihrem Unternehmen fest verankert ist und sich die Mitarbeitenden in den relevanten Geschäftsbereichen verantwortlich fühlen?
Dr. Manon Haccius: Eine wesentliche Voraussetzung ist das klare Bekenntnis unserer Geschäftsleitung zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Wir haben unsere Leitlinien und Verfahrensanweisungen verschriftlicht. Das heißt, alle Mitarbeitenden können diese Informationen nachlesen. Auch führen wir regelmäßige Schulungen durch – einerseits für neue Kolleginnen und Kollegen, andererseits durch jährliche Auffrischungen für bestehende Mitarbeitende. Das Wissen wird im Rahmen interner Audits geprüft. So lässt sich gut feststellen, wo eventuell noch Nachholbedarf besteht. Außerdem unterziehen wir uns einem externen Audit gemäß dem We-Care-Standard. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) ist Träger dieses neuen We-Care-Standards und entwickelt diesen immer weiter. Alnatura ist eines der ersten We-Care-zertifizierten Unternehmen. Die externen Prüferinnen und Prüfer kommen jedes Jahr zum Überwachungsaudit und alle drei Jahre zur Rezertifizierung wieder. Sie kontrollieren Dokumente und – mindestens genauso wichtig – sie sprechen mit den Zuständigen verschiedener Abteilungen und Hierarchiestufen. Diese vielfältigen Instrumente ermöglichen uns eine gute Urteilssicherheit, dass sowohl die Alnatura-Mitarbeitenden als auch unsere Partner in der Lieferkette die Vorgaben wie vorgesehen anwenden.
Was prüft der We-Care-Standard konkret?
Dr. Manon Haccius: Der Standard prüft umfassend die nachhaltige Arbeitsweise eines Unternehmens in vier zentralen Handlungsfeldern: Unternehmensführung, Lieferkettenmanagement, Umweltmanagement und Mitarbeitendenverantwortung. 164 Kriterien werden abgefragt. Dabei geht es um klassische Nachhaltigkeitsthemen wie zum Beispiel gentechnikfreie Sortimente, Biodiversität und Tierwohl oder auch Reduzierung der Treibhausgasemissionen und Bezahlung mindestens nach Tarif- beziehungsweise Mindestlohn. Im Handlungsfeld Lieferkettenmanagement kommt dem Einkauf eine Schlüsselrolle zu. Hier prüft We Care zum Beispiel, dass auskömmliche Preise für Rohwaren gezahlt werden. Für das We-Care-Siegel müssen Unternehmen unter anderem nachweisen, dass sie ihre Partner zu Verhaltensweisen verpflichtet haben, die mit anerkannten Sozialstandards konform sind, und überprüfen, ob auch tatsächlich so gehandelt wird.
Wie informieren Sie über die Umsetzung Ihrer Sorgfaltspflichten und was macht eine gute Kommunikation für Sie aus?
Dr. Manon Haccius: Wir senden auf allen Kanälen – auf unserem Internetauftritt, in unserem monatlich erscheinenden Magazin, das in unseren Märkten verteilt wird, und natürlich spielt das Thema auch auf Social Media eine große Rolle. Außerdem berichten wir in unserem Nachhaltigkeitsbericht über unser Engagement. Und schließlich gehen unsere Kolleginnen und Kollegen in den direkten Kundendialog. Unser Anspruch ist es, möglichst umfassend und transparent zu kommunizieren. Nach den Anforderungen des neuen Lieferkettengesetzes werden wir in Zukunft auch dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle jährlich berichten. Dafür sind wir durch unsere bisherige Dokumentation gut gewappnet.
Das Interview führte Katharina Dippold im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS).