Systematisch nachhaltig handeln
Interview mit Dr. Jenny Teufel vom Öko-Institut e.V. – 24. März 2021

Nachhaltig handeln auf allen Ebenen

Dr. Jenny Teufel ist Senior Researcher im Öko-Institut e.V. und leitet dort im Bereich „Produkte & Stoffströme“ die Arbeitsgruppe “Nachhaltige Ernährungssysteme und stoffliche Nutzung biobasierter Rohstoffe”. Ihre Arbeitsgebiete umfassen unter anderem die Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten sowie Fragestellungen zur nachhaltigen Produktion und dem nachhaltigen Konsum von Lebensmitteln. Sie ist Vorsitzende des Steuerungsausschusses, der die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung We-Care-Standards überwacht.

Es gibt keinen einheitlichen anerkannten Nachhaltigkeitsstandard, aber mit We Care jetzt einen mehr. Hat er das Zeug zum Maßstab der Lebensmittelbranche zu werden?

Teufel: Ja, das hat er. Denn We Care ist ein Standard, der das Nachhaltigkeitsmanagement von Standorten und Lieferketten für Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft auf Basis eines einheitlichen Systems bewertet. Selbst Unternehmen, die bereits vorhandene glaubwürdige Umwelt- und Sozialzertifizierungen erfüllen, können, bezogen auf das gesamte Unternehmen, noch Lücken aufweisen. Der We Care-Standard hat das Potenzial dazu, diese Lücken im Nachhaltigkeitsmanagement zu entdecken und zu schließen. Vor dem Hintergrund der massiven Umweltprobleme, dem rasanten Verlust der Biodiversität und den teils immensen sozialen Missständen gibt der Standard Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft eine Orientierung, um die unternehmerischen Sorgfaltspflichten systematisch zu verankern.

Das bedeutet nicht, dass der neue Standard jetzt schon alle Missstände aus der Welt schafft. Zum Beispiel bleibt das Thema „existenzsichernde Löhne“ eine große Herausforderung. Auf Basis der Ergebnisse, die wir in der praktischen Erprobung des Standards erhalten, wollen wir ihn weiterentwickeln und optimieren.

Welche anderen Standards / Auditierungs-Systemen werden im We-Care-Standard anerkannt und wie wurden diese ausgewählt?

Teufel: We Care erfüllt in vier Handlungsfeldern und 45 Themen 164 Kriterien. Einige von diesen Kriterien werden schon von anderen Umwelt- und Sozialstandards abgedeckt. Nehmen wir zum Beispiel das Handlungsfeld Umweltmanagement. Im Falle einer gültigen, validierten Umwelterklärung gemäß EMAS inkl. Eintragung ins EMAS-Register oder einer ISO-14001-Zertifizierung werden diese Zertifizierungen für das Handlungsfeld Umweltmanagement anerkannt.

Im Falle einer vorhandenen gültigen ISO-50001-Zertifizierung entfällt die Prüfung des Themas Energiemanagement im Handlungsfeld Umweltmanagement.

Die Prüfung des Handlungsfeld Mitarbeiterverantwortung entfällt im Falle einer vorhandenen gültigen Zertifizierung nach SA 8000, SMETA, For Life, Ecocert Responsible oder einem vergleichbaren Standard. Unternehmen können beim Standardträger FiBL Deutschland e.V. einen Antrag auf Anerkennung weiterer Standards stellen. Hierfür müssen bereits abgedeckte Themen detailliert dargelegt und der Anerkennungsantrag begründet werden. Der Standardträger entscheidet mit dem Steuerungsausschuss über eine Anerkennung.

Ist We Care ein Dach für Bio, Fairtrade, Naturland Fair usw.?

Teufel: Eher würde ich es so formulieren: We Care kann idealerweise mit unter dem Dach des staatlichen Bio-Siegels, den Siegeln der Bio-Anbauverbände oder dem Fairtrade-Siegel stehen und sie ergänzen. Denn alle diese Siegel drehen sich um das Produkt und seine Erzeugung. We Care prüft, das jeweilige Unternehmen als Ganzes: ob es ein nachhaltiges Management ausübt und weiterentwickelt.

Wie gewährleistet der Standard den Verbraucher*innen gegenüberdie Transparenz und Glaubwürdigkeit?

Teufel: Die Kriterien des Standards sind öffentlich zugänglich auf der Webseite des Standards: www.we-care-siegel.org. Die Zertifizierung der Unternehmen erfolgt durch akkreditierte Zertifizierungsstellen für Managementsysteme (ISO 17021 und/oder ISO 17065). Das Audit-Intervall beträgt 12 Monate. Alle drei Jahre findet eine Rezertifizierung statt, dazwischen gibt es Überwachungsaudits.

Außerdem erfolgt die Vergabe der Zertifizierung durch einen unabhängigen Träger, dem FiBL Deutschland. Alle Rechte am Standard sowie an dem zugehörigen We-Care-Siegel liegen beim FiBL. Unter dem unabhängigen Dach des Forschungsinstituts erfolgt die Qualitätssicherung und Weiterentwicklung von We Care durch einen wiederum unabhängigen Steuerungsausschuss aus sieben Expertinnen und Experten. Der Ausschuss ist das oberste Entscheidungsgremium des Standards. Die Mitglieder des Steuerungsausschusses werden jeweils für drei Jahre berufen. Vier seiner Mitglieder sind aus Einrichtungen der Wissenschaft, Forschung und Zivilgesellschaft personengebunden berufen (derzeit Öko-Institut, IÖW, FH-Münster, agroecology.science), die drei weiteren Mitglieder stammen jeweils von einem zertifizierten Unternehmen (Hersteller sowie Handelsunternehmen) und einem Zertifizierer. Sie werden jeweils von den Unternehmen gleichartigen Typs entsandt.

Neben wissenschaftlichen Institutionen sind auch Unternehmen und Zertifizierer im Steuerungsausschuss. Warum und wie weit geht ihr Einfluss?

Teufel: Vorsitz und Mehrheit im Steuerungsausschuss liegen immer in den Händen der wissenschaftlichen Institutionen. Damit ist die Unabhängigkeit des Ausschusses gewährleistet, gleichzeitig kann aber auch auf die notwendigen praxisbezogenen Erfahrungen der übrigen Mitglieder zurückgegriffen werden. Das ist extrem wichtig für die Weiterententwicklung des Standards. Nur wenn wir wissen, was in der Praxis schwierig ist, bzw. welche Herausforderungen sich ergeben, kann der Standard sich sinnvoll weiterentwickelt.

Ein durchaus üblicher Lohn in Entwicklungsländern kann auch so niedrig sein, dass er die Existenz nicht sichert. Bringt We Care dort mehr Gerechtigkeit?

Teufel: Auch der We Care-Standard kann nicht alle Missstände beheben. Aber: Er zwingt die Unternehmen beispielsweise ihre Lieferketten in Risikoländern gut zu prüfen. Für das We-Care-Siegel müssen Unternehmen nachweisen, dass sie ihre Partnerinnen und Partner zu Verhaltensweisen verpflichtet haben, die mit anerkannten Sozialstandards konform sind. Dazu gehört auch, zu überprüfen, ob auch tatsächlich so gehandelt wird. Sollten Missstände bekannt werden, muss das Unternehmen sofort Maßnahmen ergreifen, um diese Missstände zu beseitigen. Das ist im Einzelfall sicher nicht immer einfach, aber We-Care-zertifizierte Unternehmen machen sich systematisch auf den Weg, um dieses wichtige Thema zu adressieren.

We Care ist ein Siegel, dass die gesamte unternehmerische Verantwortung zeigen/ überprüfen soll. Verstehen Verbraucher*innen, dass es um diese komplexen Prozesse geht, wenn sie ein gelabeltes Produkt vor sich haben?

Teufel: Kommunikation ist wichtig. Das Labelling ist nur für das Unternehmen erlaubt, nicht für das Produkt. Das Siegel selbst beinhaltet ja schon den Hinweis: zertifiziertes Unternehmen. So versteht die interessierte Verbraucherin und der interessierte Verbraucher, dass das Zeichen nicht für das Produkt gilt, sondern für das Unternehmen, welches es hergestellt oder es in den Handel bringt. Das Thema Nachhaltigkeit ist vielschichtig und komplex. Man muss sich damit auseinandersetzten und das können wir niemandem ersparen. We Care hilft dennoch: denn Verbraucher*innen müssen nicht überlegen, welches unternehmerische Nachhaltigkeitsmanagement besser ist. Das von Unternehmen x, das Bäume in der Region Z pflanzt, oder das Unternehmen y, das Landwirte und Landwirtinnen im Kakaoanbau schult.

Was kostet der Standard? Ist er auch für mittlere und kleine Firmen erschwinglich?

Teufel: Die Kosten für den We Care-Standard setzen sich aus den Bearbeitungs- und Registrierungsgebühren (einmalig 250 €) für die Nutzer des We-Care-Siegels und den jährlich anfallenden Nutzungsgebühren zusammen sowie den Kosten für die Kontrollstelle. Für Unternehmen mit einem Umsatz mehr als 5 Mio. € beträgt die Nutzungsgebühr für das Unternehmen beispielsweise 1.500 € jährlich. Die Kosten für die Kontrolle und die Erstzertifizierung bewegen sich zwischen 3.000 bis 7.000 € je nach Unternehmensgröße. Für die jährlichen Zwischenaudits liegen die Kosten bei 50 % der Kosten für die Erstzertifizierung.

So müsste ein kleines Unternehmen mit weniger als 5 Mio. Euro Umsatz insgesamt mit allen Kosten im ersten Jahr circa 1.750.00 € an Nutzungsgebühren und Zertifizierungskosten in Höhe von max. 3.000 € bezahlen. Im zweiten Jahr würde 1.500 € Nutzungsgebühr und 1.500 € Kontrollgebühren bezahlt.

Hat ein Unternehmen das höhere Level bei der Zertifizierung erreicht, dann darf das We-Care-Siegel auch auf den Produkten kommuniziert werden. Es fallen dann neben der jährlichen Grundnutzungsgebühr auch noch Nutzungsgebühren auf den Jahresumsatz der gelabelten Produkte an. Liegt der Umsatz mit den gelabelten Produkten beispielsweise bei 5 Mio. Euro so fallen nochmals Nutzungsgebühren von ca. 2.000 € an.

Dr. Jenny Teufel, Senior Researcher im Öko-Institut e.V.