Regulatorik und Freiwilligkeit
Interview mit Raoul Mancke – Kiwa 10. Mai 2025

Für kleine und mittlere Unternehmen ist der Aufwand zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen aus der EU enorm. Mit dem im Februar vorgestellten so genannten Omnibus-Verfahren könnten die Vorgaben künftig deutlich minimiert werden. Raoul Mancke vom Zertifizierer Kiwa ordnet sowohl diesen Vorschlag als auch den neuen Clean Industrial Deal ein.

Herr Mancke, als wir zuletzt vor vier Jahren miteinander sprachen, herrschte viel Aufruhr wegen des LkSG. Wie nehmen Sie die Situation in Unternehmen heute wahr?

Raoul Mancke: Damals war das Lieferkettengesetz neu und der Aufwand noch nicht wirklich abschätzbar. Viele Unternehmen haben eigens Mitarbeiter für dieses Thema bereitgestellt. Seitdem haben die Anforderungen eher zu- als abgenommen, insbesondere durch weitere Verordnungen wie CSRD und CSDDD. Viele Bio-Hersteller müssen sich auch in Lieferanten-Audits begeben, selbst wenn sie qua Größe nicht unter die CSRD fallen. Das alles zu bewältigen, fällt vor allem kleineren und mittleren Unternehmen zunehmend schwer.

Manche Unternehmen kritisieren, dass diese EU-Direktiven mehr Papiertiger als ein effektiver Nutzen für Klima und Umwelt sind.

Raoul Mancke: Diese Kritik wird häufig geäußert, insbesondere dann, wenn Unternehmen versuchen die EU-Direktiven buchstäblich „auf dem Papier“ zu erfüllen. Eine effiziente und effektive Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsregularien ist nach meiner Einschätzung nur mit modernen digitalen Lösungen möglich. In diesem Bereich müssen sich sowohl Unternehmen als auch Zertifizierungsstellen weiterentwickeln. Die Standards CSRD und die dazugehörigen ESRS sind zweifellos umfangreich. Sie dienen der Vergleichbarkeit, beanspruchen jedoch durch ihre einheitliche, sehr detaillierte Berichterstattung viele Ressourcen. Ein Fokussieren auf die relevantesten und kritischsten Datenpunkte könnte insbesondere kleineren Unternehmen helfen, die Anforderungen zu bewältigen, ohne übermäßig belastet zu werden. Gleichzeitig ist es unverzichtbar, dass zentrale Aspekte wie die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen, auch bei vorgelagerten Unternehmen, erhalten bleiben, wenn das Ziel der Klimaneutralität erreicht werden soll. Dieses Ziel darf jedoch nicht zu Lasten anderer ökologischer oder sozialer Faktoren gehen. Hier ist eine ausgewogene Balance entscheidend. Der We-Care-Standard zeigt, dass ein umfassender Ansatz möglich ist und bietet eine praktikable Lösung sowohl für KMU als auch für große Unternehmen, um Nachhaltigkeit ganzheitlich zu integrieren und verifiziert nachzuweisen.

Könnte demnach We Care auch zur Erfüllung der CSDDD beitragen?

Raoul Mancke: Grundsätzlich ja. Es ist wichtig zu beachten, dass im Rahmen des EU-Omnibus-Pakets I Vorschläge zur Anpassung der CSDDD eingebracht wurden. Diese Vorschläge zielen darauf ab, die Anforderungen der Richtlinie zu präzisieren und Umsetzbarkeit praktikabler zu gestalten. We Care deckt insbesondere im Bereich des Lieferkettenmanagements sowie in weiteren Handlungsfeldern viele der von der EU geforderten Aspekte ab. Eine We-Care-Zertifizierung kann daher als extern überprüftes Nachweisinstrument dienen. Es unterstützt Unternehmen, die Anforderungen der CSDDD zu erfüllen und dies glaubwürdig gegenüber Anspruchsgruppen und Kunden zu kommunizieren. Mit We Care lässt sich nachweisen, dass ein Unternehmen – sei es als eigenständige Organisation, Tier-1- oder Tier-N-Lieferant – ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement erfolgreich implementiert hat. Darüber hinaus wird belegt, dass an den eigenen Standorten eine nachhaltige Unternehmensführung, ein effektives Umweltmanagement und eine verantwortungsvolle Mitarbeiterführung etabliert sind. Als unabhängige Zertifizierungsstelle sind wir davon überzeugt, dass das We-Care-Siegel Unternehmen nicht nur bei der Erfüllung der regulatorischen Anforderungen unterstützt, sondern auch ein Zeichen für Vertrauen und Nachhaltigkeit im Markt setzt. Daher setzen wir uns aktiv für eine höhere Sichtbarkeit des We-Care-Siegels ein, um dessen Potenzial voll auszuschöpfen.

Sie erwähnten das Omnibus-Verfahren als einen Vorschlag zur Verringerung der Regulatorik. Für Sie eine Chance oder Rückschlag für die Nachhaltigkeit?

Raoul Mancke: Während Unternehmen, die unter der Last der Regulatorik ächzen, die geplanten Lockerungen begrüßen, sehen Kritiker darin eine mögliche Aufweichung der Ziele des Green Deal. Insbesondere jene Unternehmen, die sich schon heute verantwortungsvolles Wirtschaften auf die Fahnen geschrieben haben, betrachten die Überlegungen skeptisch. Das EU-Omnibus-Verfahren, es ist bislang ein Vorschlag, zielt darauf ab, bestehende Regulierungen zu evaluieren und gegebenenfalls zu vereinfachen, zum Beispiel die CSRD. Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von bis zu 50 Mio. € oder einer Bilanzsumme von unter 25 Mio. € könnten von der Berichtspflicht ausgenommen werden, was eine deutliche Einschränkung des Anwendungsbereichs wäre. Sollte dies umgesetzt werden, würden viele Unternehmen nicht mehr in den Geltungsbereich der CSRD fallen. In diesem Kontext greift We Care sehr gut, da es die wichtigsten Datenpunkte und ein umfassendes Risikomanagement abbildet und somit als alternativer Nachweis für Nachhaltigkeitsbestrebungen von Unternehmen dienen kann.

Ein weiterer Vorschlag des Omnibus-Verfahrens bezüglich der CSDDD betrifft die Lieferkettenanforderungen: Unternehmen müssten nur noch Tier-1-Lieferanten sowie ein generisches Lieferanten-Risikomanagement berücksichtigen. Dies würde bedeuten, dass Risiken in tieferen Ebenen der Lieferkette nicht mehr verpflichtend geprüft werden müssten. Hier hätten We-Care-zertifizierte Unternehmen einen klaren Vorteil, da sie bereits heute die gesamte Lieferkette im Blick haben – auch über Tier-1 hinaus. Dieser umfassende Ansatz bietet nicht nur Sicherheit für die Unternehmen, sondern auch für deren B2B- oder B2C-Kunden, die darauf vertrauen können, dass We-Care-zertifizierte Unternehmen ein ganzheitliches Risikomanagement umsetzen. Durch die Möglichkeit, das We-Care-Siegel auf Produkten zu nutzen, können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen zudem klar und transparent gegenüber ihren Kunden kommunizieren. Gleichzeitig könnte die Umsetzung der Omnibus-Vorschläge problematisch sein. Insbesondere die geplante Reduzierung der Ahndung von Verstößen stellt ein großes Risiko dar. Eine schwächere Durchsetzung könnte die Motivation zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele mindern und die Erreichung der EU-Klimaziele gefährden. Gerade in der Bio-Branche gibt es viele Unternehmen, die aus Überzeugung und oft über gesetzliche Anforderungen hinaus handeln.

Zusammengefasst bietet das Omnibus-Verfahren Chancen für Unternehmen, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass Lockerungen die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen abschwächen. Unternehmen, die bereits heute auf Standards wie We Care setzen, könnten hier eine Vorreiterrolle einnehmen und sich durch ihre umfassenden Maßnahmen von anderen abheben.

Mit dem Clean Industrial Deal (CID) kommt nun eine weitere Initiative auf die Unternehmen zu.

Raoul ManckeDas Ziel einer zirkulären und klimaneutralen Industrie ist nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend notwendig. Die EU-Kommission hat mit dem CID einen Rahmen geschaffen, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie mit der Dekarbonisierung und Innovation verbinden soll. Solche Initiativen sind essenziell, um die Industrie auf den Weg zu einer nachhaltigen Zukunft zu bringen. Es braucht verbindliche Ziele und Regularien, damit sich der Markt insgesamt weiterentwickelt – und nicht nur jene Unternehmen, die aus intrinsischer Motivation bereits nachhaltig handeln. Der CID bietet hier eine Chance, klare Leitlinien zu setzen, die sowohl verpflichtende als auch freiwillige Standards umfassen können. Diese Kombination ist entscheidend, um eine Balance zwischen ambitionierten Klimazielen und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit zu schaffen. Wenn jedoch das große Ziel einer klimaneutralen, ökologischen und sozialen EU durch zu viele Kompromisse oder eine Aufweichung der Vorgaben gefährdet wird, wäre dies ein falsches Signal mit potenziell fatalen Folgen. Verbindliche Ziele und Standards müssen daher konsequent verfolgt werden. Der CID kann ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein, doch seine Umsetzung wird entscheidend sein. Nur wenn die Maßnahmen ambitioniert und gleichzeitig praktikabel gestaltet werden, kann der CID dazu beitragen, die Industrie nachhaltig zu transformieren und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken.

Das Gespräch führte Volker Laengenfelder.

Raoul Mancke (36) ist beim weltweit tätigen Zertifizierer Kiwa verantwortlich für die internationale Geschäftsentwicklung im Bereich Nachhaltigkeitsdienstleistungen.