Haltung zeigen

Interview mit Julia Sievers – Agrar Koordination – 23. Oktober 2023

Die Agrar Koordination ist eine der NGOs, die sich bereits 2019 für ein deutsches und jetzt auch für ein europäisches Lieferkettengesetz engagiert. Was es noch braucht, damit wirklich Fairness in der Lieferkette entstehen kann, erläutert Julia Sievers, Referentin für Menschenrechte in Lieferketten bei der Agrar Koordination.

Frau Sievers, zwei Jahre nach in Kraft treten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG): Welche Zwischenbilanz ziehen Sie?

Julia Sievers: Unsere Erfahrung zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Unternehmen – im Fairen Handel und im Bio-Bereich gibt es löbliche Ausnahmen – nicht von sich aus im ausreichenden Maße auf den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt achtet. Vor diesem Hintergrund ist das Lieferkettengesetz ein Erfolg, weil es Standards setzt. Für einen noch besseren Schutz der Menschen und der Umwelt braucht es aber noch mehr. Wir setzen uns deshalb für ein starkes europäisches Gesetz ein, das über die deutschen Regulierungen hinausgeht.

Warum glauben Sie, dass es mehr Regulierung braucht?

Julia Sievers: Handel und Unternehmen haben einen enormen Einfluss darauf, was am Anfang der Lieferkette geschieht und welche Preise dafür bezahlt werden. Durch ihre Einkaufsmacht können sie im Extremfall unterhalb der Produktionskosten einkaufen. Die häufig viel zu niedrigen Preise begünstigen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung am Anfang der Lieferkette. Um dies zu vermeiden, braucht es Regulierung.

An welche Regulierung denken Sie?

Julia Sievers: Wir fordern gemeinsam mit vielen weiteren Organisationen in der Initiative Faire Preise in der Lieferkette ein Verbot des Einkaufs unterhalb der Produktionskosten. Zudem ist eine unabhängige Ombuds- und Preisbeobachtungsstelle notwendig. Die aktuelle Evaluierung des Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetztes (AgrarOLkG) bietet eine wichtige Gelegenheit, diese neuen Regulierungen auf den Weg zu bringen.Auch die europäische Lieferkettenrichtlinie muss sicherstellen, dass Unternehmen durch eine Anpassung ihrer Einkaufspraktiken für existenzsichernde Einkommen und Löhne sorgen.

Wo ist der Handlungsbedarf in der Lebensmittelbranche besonders groß?

Julia Sievers: Es gibt viele Produkte, bei deren Erzeugung Menschenrechte verletzt werden. Besonders problematisch ist die Kaffeelieferkette. In Deutschland trinken die Menschen im Durchschnitt mehr Kaffee als jedes andere Getränk, nach Brasilien und den USA ist Deutschland der weltweit wichtigste Absatzmarkt. Es gibt hier einen harten Wettbewerb. Wenn ein Pfund Kaffee bei uns für unter vier Euro angeboten wird, lässt sich leicht erkennen, dass bei den Menschen in Guatemala, Äthiopien oder Indonesien nicht viel ankommen kann. Weltweit verdienen etwa 125 Millionen Menschen ihr Einkommen mit dem Kaffeeanbau. Doch dieses ist in der Regel so niedrig, dass davon keine Existenzsicherung möglich ist. Mangel an Nahrung, Gesundheitsvorsorge und Bildung sind die Folge und dramatischerweise auch Kinderarbeit und sklavereiähnliche Arbeitsbedingungen. Das wollen und das müssen wir ändern. Dafür setzen wir uns mit unserem Projekt „Fairer Kaffee Jetzt“ ein.

Viele Unternehmen klagen über zu starke Regulierung, zum Beispiel durch die EU-Taxonomie oder auch das LkSG. Was antworten sie diesen, wenn Sie noch mehr Gesetze fordern?

Julia Sievers: Wie gesagt, es gibt bereits vorbildliche Unternehmen, denen Menschenrechte und Umweltschutz wichtig sind und entsprechende Konditionen und Vorgaben für ihre Lieferketten vereinbaren. Diese Unternehmen zeigen, dass das LkSG nichts Unmögliches fordert. Wer sich jetzt ernsthaft für faire Preise in den eigenen Lieferketten einsetzt, zeigt Haltung und setzt die richtigen Prioritäten. Wenn es einem Unternehmen allerdings in erster Linie um Gewinnmaximierung geht, dann ist dies keine nachhaltige, sondern eine rückwärtsgewandte Form des Wirtschaftens. Die Erfahrung zeigt, dass auf freiwilliger Basis zu wenige Unternehmen auf Menschenrechte, faire Preise und Umweltschutz achten. Und wenn sie es tun, haben sie dadurch auf Grund höherer Kosten leider Wettbewerbsnachteile. Gesetzliche Regulierungen können bewirken, dass faire Handelsbeziehungen nicht länger die Ausnahme bleiben, sondern zum Standard werden.

Welche Rolle spielen Siegel?

Julia Sievers: Auch hier gilt: Unternehmen, die eine anspruchsvolle Zertifizierung für faire und ökologische Kriterien erhalten haben, dokumentieren damit nicht nur einen Standard, sondern unterstreichen auch eine zukunftsgerichtete Haltung. Viele Siegel sind aus unserer Sicht jedoch Augenwischerei. Nur wenige Siegel stehen für faire Arbeitsbedingungen, langfristige und transparente Handelsbeziehungen, Menschenrechte und auch gewisse ökologische Standards – wie zum Beispiel Fair for Life, Fairtrade, Naturland Fair und auch We Care. Die Erfahrungen zeigen aber, dass auch Siegel im aktuellen System Probleme haben, für existenzsichernde Einkommen zu sorgen. Auch der Faire Handel und der Bio-Handel stehen unter Preisdruck. Anspruchsvolle Siegel müssen daher durch bessere gesetzliche Regulierungen unterstützt werden.

Was zeichnet das We-Care-Siegel aus?

Julia Sievers: Ein guter Ansatz bei We Care ist, dass dieses Siegel umfassend und systematisch Nachhaltigkeit in Unternehmen voranbringen möchte und dabei besonders das Lieferkettenmanagement betrachtet. Der soziale und ökologische Anspruch von We Care überschneidet sich mit den Zielen der Agrar Koordination, sowohl auf ein gerechtes als auch auf ein ökologisches und nachhaltiges Agrar- und Ernährungssystem hinzuwirken.

Das Gespräch führte Volker Laengenfelder
laengenfelder.de