Über Herzblut und Hemdsärmeligkeit sowie Strukturen und Standards bei einem Bio-Pionierunternehmen und was das alles mit We Care zu tun hat, sprachen wir mit Philip Luthardt, dem Leiter des Nachhaltigkeitsmanagements der Bohlsener Mühle.
Herr Luthardt, die Bohlsener Mühle wurde als eines der ersten Unternehmen 2021 We-care-zertifiziert, in diesem Jahr erfolgte das Überprüfungsaudit. Was hat sich in diesem einem Jahr bei Ihnen verändert?
Philip Luthardt: Als Bio-Pionierunternehmen tun wir seit mehr als 40 Jahren viel im Bereich Nachhaltigkeit. Unser stetiges Wachstum und die rasant größer werdenden globalen Herausforderungen wie Klimawandel oder Artenschwund bringen auch für uns immer neue Herausforderungen und einen permanenten Verbesserungsbedarf mit sich. So haben wir im ersten We-Care-Audit festgestellt, dass wir viele Prozesse zwar mündlich abgestimmt aber eben nicht optimal beschrieben und dokumentiert hatten. Dieses Vorgehen funktionierte, als wir noch ein kleineres Unternehmen waren, doch inzwischen arbeiten hier fast 300 Menschen. Jetzt brauchen wir klarere Prozesse, auch für alle Fragen der Nachhaltigkeit. We Care führte dazu, dass wir gerade im Lieferkettenmanagement die Vorgänge besser beschrieben und dokumentiert haben.
Mit welchem Ergebnis?
Philip Luthardt: Zunächst können wir beim Thema Lieferkettengesetz entspannt sein, daran hat We Care einen großen Anteil. Im Detail bedeutet dies, dass wir jetzt transparente Wege und klare Vorgaben im Beschaffungsprozess haben, sowohl intern als auch gegenüber unseren Partnern. Und wir dokumentieren alles. Beispielsweise betrachten wir nun neben der ökologischen auch die soziale Verantwortung mit konkreten Vorgaben und Nachweisen bei unserem Entscheidungsprozess für Rohstoffe und Lieferanten.
Das klingt ziemlich bürokratisch…
Philip Luthardt: Das ist eine Frage der Perspektive. Einerseits sind weitere Abstimmungsprozesse hinzugekommen, andererseits wissen die Kolleginnen und Kollegen nun viel klarer, worauf im Bereich Nachhaltigkeit zu achten ist. Dem Prinzip Zufall haben wir damit einen Riegel vorgeschoben, und das gibt Sicherheit. Darüber hinaus können sich neue Mitarbeitende jetzt viel leichter orientieren. Besonders wichtig aus meiner Sicht ist aber auch die Fortschreibung wesentlicher Kennzahlen, denn sie ermöglicht uns eine Kontrolle über Entwicklungen. In den Gesprächen mit unseren Lieferanten haben wir somit verlässliche Daten. So wissen wir nun immer, ob wir auf der Spur sind oder etwas verändern müssen. So konnten wir bereits manchen blinden Fleck finden und beheben.
Wie wichtig sind solche Standards für regionale Lieferanten, die ja bei Ihnen den größten Anteil ausmachen?
Philip Luthardt: In der Tat kommen 75 Prozent unserer Rohstoffe aus Deutschland oder der Region. Was die Einhaltung von ökologischen und sozialen Mindeststandards angeht, spielt es für uns keine Rolle, ob ein Lieferant aus der unmittelbaren Umgebung oder aus einem Land mit gewissen Risiken für die Einhaltung von Menschenrechten oder der ILO-Kernarbeitsnormen kommt. Biologischer Anbau oder akzeptable Arbeitsbedingungen können ja keine Frage der Region sein. Wenn einer unserer regionalen Partner bei sich Saisonarbeiter beschäftigt, hat auch er für gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung zu sorgen. Wie wir unsere Prozesse verbessert haben, zeigt der Umgang mit unserem Code of Conduct. Diesen Verhaltenskodex haben wir 2017 eingeführt und allen Partnern geschickt. Neue Lieferanten mussten das Dokument von vornherein unterschreiben, doch bei unseren bestehenden Lieferanten haben wir das nicht sauber geprüft bzw. sind darüber nicht in den Austausch gegangen. Durch We Care haben wir die Lücke aufgespürt, jetzt erfüllen wir auch diesen Compliance Faktor. Vor allem aber schärfen wir das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, sowohl bei uns selbst als auch bei Dritten.
Ein geschärftes Bewusstsein – wie zeigt sich das?
Philip Luthardt: We Care ist keine Schablone, sondern fordert von den Beteiligten ein, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen, und zwar nicht beliebig, sondern entlang klarer Kriterien. So wird unser Handeln transparent und auch für Dritte nachvollziehbar. Ein Beispiel aus dem Personalbereich: Hier haben wir für zwei Kollegen deren vor Jahrzehnten lediglich mündlich geschlossenen Arbeitsverträge in eine schriftliche Form gebracht. Das mag banal klingen, bedeutet für alle Beteiligten jedoch ein hohes Maß an Klarheit und letztlich Sicherheit.
Und was bedeutet We Care für Sie als Nachhaltigkeitsverantwortlicher?
Philip Luthardt: Bis We Care musste ich häufig die Kolleginnen und Kollegen von diesem oder jenem Ansatz überzeugen, auch wenn ich natürlich die Geschäftsführung hinter mir wusste. Jetzt sind die aus der Nachhaltigkeitsabteilung heraus formulierten Anforderungen ein wichtiger Bestandteil von Entscheidungen in allen Bereichen geworden. Mindestens einmal jährlich sitzen die Abteilungsverantwortlichen und ich nun zusammen, wir reflektieren das Erreichte und treffen Entscheidungen. Dadurch justieren wir das Unternehmen auch aus Sicht der Nachhaltigkeit immer wieder aufs Neue. Letztlich hat We Care dazu geführt, dass wir im Bereich Nachhaltigkeit noch strukturierter und planbarer arbeiten und uns so auch fit für die Zukunft machen.
Der für die Branche so typische „Bio-Geist“, leidet dieser dann nicht bei so vielen Prozessen?
Philip Luthardt: Eine wichtige Frage! Am Ende entsteht Nachhaltigkeit aus meiner Sicht zwischen den beschriebenen Prozessen. Wenn nur in Prozessen gedacht wird, dann wird Bio tatsächlich technokratisch. Aber Bio lebt von den menschlichen Beziehungen, ein Managementsystem ist immer nur eine Hilfestellung. Das bringt auch ein Satz aus unserem Leitbild gut zum Ausdruck: „Den Weg zum zukunftsfähigen Wirtschaften muss man aushalten.“ Also auf einem Wertesystem aufbauend sich Ziele setzen, sich dafür einsetzen, darüber auch streiten können und dann natürlich auch die gemeinsamen Erfolge feiern. Dafür braucht man Herzblut, und davon haben wir eine ganze Menge hier in Bohlsen!
Das Gespräch führte Volker Laengenfelder.
Philip Luthardt (37) ist seit 2016 Leiter des Nachhaltigkeitsmanagements der Bohlsener Mühle. Das Unternehmen aus Bohlsen bei Uelzen mit rund 300 Mitarbeitenden stellt über 200 Artikel her, vor allem frische Backwaren, Dauerbackwaren, Getreidespezialitäten und Frühstückscerealien. Seit der Gründung 1979 führt Volker Krause die Bohlsener Mühle.